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15. Mai 2018 | 14:08 Uhr
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RTL-Enthüller Wallraff nimmt Urlaubshotels aufs Korn

„Ich kannte mal einen, der konnte Eis an einen Eskimo verkaufen“, sagt ein Schulungsangestellter der FTI-Reiseleiterorganisation im Film.  Damit bringt er ziemlich genau auf den Punkt, was von Reiseleitern nach den Erfahrungen der Macher der RTL-Serie „Team Wallraff““ erwartet wird. verkaufen, verkaufen und nochmal verkaufen.

Jedes Jahr in der sommerlichen Vorsaison feiern Reportagen über mehr oder minder skandalöse Zustände in den Ferienparadiesen fröhliche Wiederauferstehung. Diesmal hatte RTL mit dem Team um den Enthüllungsjournalisten und Schriftsteller Günter Wallraff seine investigative Speerspitze auf die Reisebranche angesetzt. Um es kurz zu machen: Die Sendung „Pauschalurlaub – Ärger inklusive“ hält, was der Titel verspricht. Dreckige Zimmer, Schimmel, schmutzige Matratzen, Müll, Billigfusel und bakteriell verunreinigtes Wasser im All-inclusive-Ausschank, Chaos beim Einchecken, Baustellen statt bezugsfertiger Zimmer – das  übliche eben. Und nahezu alle „Großen“ im Geschäft bekamen ihr Fett weg: FTI und seine Hotelmarke Labranda, Thomas Cook mit einem ehemaligen Sun-Connect-Hotel, DER Touristik mit der Reaktion auf Urlauberbeschwerden, Tui, Alltours und FTI mit ihren Reiseleiterorganisationen.

Skandal oder Skandälchen? Mitarbeiterinnen des Wallraff-Teams gingen dabei als Animateurinnen und Reiseleiterinnen undercover auf Informationssuche. Das Ergebnis ist eine Mischung aus Missständen, die tatsächlich das Zeug zum Skandal haben, und gewollt wirkenden Übertreibungen. So wurde etwa angeprangert, dass das Cola-Getränk und die Limonaden im All-inclusive-Ausschank aus Sirup aus dem Kanister und Leitungswasser gemischt wurden, obwohl genau das in großen Teilen der Gastronomie normal ist. Dass das ausgeschenkte Wasser selbst hygienischen Mindeststandards nicht entsprach, wiegt dagegen deutlich schwerer. Auch dass Wein und Spirituosen, zumal im preisgünstigeren Bereich des Alles-inklusive-Marktes nicht auf Gourmet-Niveau liegen, kann wohl nur Kunden überraschen, die sich noch nie darüber Gedanken gemacht haben, wie ein Preis zustande kommt. Was freilich nichts daran ändert, dass bei vergammeltem Essen der Spaß aufhört.

Verkäufer statt Kümmerer. Kein gutes Haar lässt die Reportage auch an den Reiseleiterorganisationen. Zwei Vorwürfe stehen dabei im Mittelpunkt. Der erste: Reiseleiter werden statt auf Kundenbetreuung gnadenlos auf verkauf getrimmt. Und der zweite: Bei  Beschwerden gehe es ihnen nur darum, mögliche Kosten für Hotelier und Veranstalter zu vermeiden oder gering zu halten. Mit dem ersten Kritikpunkt landet die Reportage einen Volltreffer. Wenn sich, wie bei einer Reiseleiterschulung der Tui, zwei Drittel der Lehrstunden um den Verkauf von Ausflügen drehen und nur der Rest um alle übrigen Themen, und wenn sich Bezahlung und der Aufstieg der Reiseleiter innerhalb der Organisation vollständig oder überwiegend daran orientieren, spricht das für sich. Ändern wird sich daran nichts – jedenfalls nicht zum Guten. Schließlich hat etwa Tui gerade im Bereich Ausflüge und Aktivitäten zum Angriff geblasen und das Thema zum strategischen Geschäftsfeld erklärt. Und auch bei den übrigen großen Anbietern rückt der Verkauf von „Ancillaries“ auf der Agenda immer weiter nach vorn. Insofern ist der Wandel des Jobprofils bei Reiseleitern vom Kümmerer zum Verkäufer seit langem gelebte Realität und eine Veränderung des Blickwinkels der Verbraucher durchaus angebracht.

Problemlösung vor Ort. Dass Reiseleiter hingegen um Schadensbegrenzung für ihren Arbeitgeber bemüht sein müssen, kann dagegen per se kein Anlass zur Kritik sein. Natürlich kann man es als trickreich ansehen, Kunden bei Beschwerden mit einer Flasche Wein, einem Abendessen oder einem Upgrade besänftigen zu wollen, statt nach ihrer Rückkehr einen Teil des Reisepreises zu erstatten – legitim und oft auch im Sinne der Urlauber ist die Praxis, Probleme vor Ort zu lösen, aber allemal.

Abschließend „enthüllt“ die Reportage noch, wie Reiseleiter despektierlich über ihre Gäste sprechen und ihnen vorwerfen, nur nach dem Haar in der Suppe zu suchen. Dass dies auf Urlauber mindestens ernüchternd wirkt, ist klar. Andererseits:  Wer von all denen, die in verschiedensten Branche täglich mit Kunden zu tun haben, hat noch nie über selbige gelästert?

Dessen ungeachtet werden viele Reiseprofis in den nächsten Tagen  die Themen der RTL-Sendung auf den Tisch, beziehungsweise um die Ohren gehauen bekommen. Entsprechend groß ist der Frust, der sich in einschlägigen Social-Media-Gruppen über die Reportage entlädt. Reiseprofis werfen den Autoren vor, besonders abschreckende Beispiele  ausgewählt zu haben. Die mediale Überhöhung  vorhandener Mängel sei ein Problem, das nun auf ihnen laste, so der Tenor. Sei’s drum. Wenn die Kunden mit ihren Sorgen und Vorbehalten an den Counter kommen, ist das zwar lästig. Aber immer noch besser, als wenn sie niemandem die Gelegenheit gäben, den Eindruck, der aus der Sendung entstanden ist, zu relativieren. Wer sich darauf vorbereiten möchte, was da kommen mag. hat hier dazu die Gelegenheit.  

Christian Schmicke

 

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