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5. November 2025 | 07:00 Uhr
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Wie Chicagos Tourismuschefin gegen den Trump-Effekt arbeitet

Kristen Reynolds (Foto), seit fünf Monaten CEO von Choose Chicago, sieht die Stadt touristisch auf Erholungskurs. Nach einem Rekordsommer seien die Hotelzahlen wieder auf Vorkrisenniveau. Im Gespräch mit Reise vor9 spricht Reynolds über neue Zielgruppen und die Herausforderung, Chicagos Image jenseits politischer Schlagzeilen zu stärken.

Reynolds Kristen

Chicago steht im Kreuzfeuer der Trump-Administration. Die demokratisch regierte Metropole wurde von ihm wiederholt als gefährlich tituliert; er schickte die Nationalgarde und ließ Truppen der Einwanderungsbehörde Razzien zur "verstärkten Durchsetzung bestehender Einwanderungsgesetze" durchführen. Zum Programm zählen Razzien in Stadtteilen und am Airport, Kontrollen an Busbahnhöfen, Bahnhöfen und in Hotels, und nicht zuletzt Festnahmen und die Deportation mutmaßlich undokumentierter Migrantinnen und Migranten.

Außerdem fror der US-Präsident Infrastrukturinvestitionen durch das Verkehrsministerium im Volumen von 2,1 Milliarden Dollar vorläufig ein. Doch die Metropole zeigt sich widerstandsfähig. Sie kontert Trumps Aggression mit einer Rekordzahl an Übernachtungen im Sommer von 3,56 Millionen und Einnahmen von 949 Millionen US-Dollar.

Mit Elan gegen Klischees

Kristen Reynolds hat erst vor wenigen Monaten die Leitung der Tourismusorganisation Choose Chicago übernommen. Die Aufgabe in der Stadt sei für sie neu, doch der Eindruck nach kurzer Zeit sei eindeutig positiv. "Chicago ist eine unglaublich vielfältige, lebendige Stadt mit großartiger Gastfreundschaft", sagt sie. Viele Besucherinnen und Besucher seien überrascht, wie offen und sicher sie die Metropole erleben – "nicht so, wie sie es aus Nachrichten oder sozialen Medien erwarten".

Für Reynolds ist das einer der wichtigsten Ansätze: "Wir müssen vermitteln, was Chicago wirklich ist." Das gelinge nur mit authentischer Kommunikation und einer klaren Positionierung auf internationalen Märkten.

Rekordsommer und starke Inlandsnachfrage

Nach Angaben von Choose Chicago hat die Stadt im Sommer 2025 Rekordwerte erzielt. Erstmals seit der Pandemie erreichten die Hotels wieder volle Auslastung. „National ist das noch längst nicht überall der Fall“, betont Reynolds. Besonders die Inlandsnachfrage stützt die Erholung. Rund fünf Millionen Besucher zählte Chicago zuletzt, etwa zwei Millionen davon kamen aus dem Ausland.

Das internationale Geschäft sei zwar noch nicht auf früherem Niveau, entwickle sich aber unterschiedlich. Deutschland verzeichne weiter Rückgänge, Südamerika dagegen wachse stark. "Kolumbien ist aktuell um 200 Prozent im Plus", berichtet Reynolds. Neue Flugverbindungen nach Chicago-O’Hare trügen dazu bei.

Südamerika im Fokus

Mit den politischen Unsicherheiten in Europa und Asien rücken neue Märkte in den Mittelpunkt. Südamerika und Japan entwickeln sich stabil, während die Nachfrage aus Deutschland und Großbritannien noch hinterherhinkt. Reynolds sieht darin eine strategische Chance: "Viele dieser Märkte sind weniger stark von den politischen Spannungen betroffen, die das Reisen in die USA bremsen."

Die Tourismusmanagerin setzt auf enge Kooperation mit Airlines und Veranstaltern, um neue Zielgruppen anzusprechen. Besonders im Nahbereich, innerhalb eines fünfstündigen Fahrtradius, will Choose Chicago mehr Wochenendbesucher gewinnen. Theater, Restaurants, Konzerte und Sportereignisse sollen in der Nebensaison zusätzliche Gäste anziehen.

Politik beeinflusst das Reiseverhalten

Auf die Frage, wie sich die US-Politik unter Donald Trump auf den Tourismus auswirke, antwortet Reynolds vorsichtig, aber deutlich. Die politische Stimmung in den USA habe internationale Wahrnehmung und Reiseentscheidungen spürbar beeinflusst. "Es gibt nach wie vor eine gewisse Zurückhaltung, die mit dem generellen Bild der USA zusammenhängt", sagt sie.

Chicago leide jedoch weniger unter diesen Effekten, da die Stadt als eigenständige Marke wahrgenommen werde. "Die Bilder, die manche vom Land haben, treffen hier nicht zu", erklärt sie. Auch die Sorge um Sicherheit oder um mögliche Proteste im Zusammenhang mit dem Einsatz der Nationalgarde spiele im Alltag keine Rolle: "Die Hotels sind voll, Besucher genießen die Stadt, Veranstaltungen laufen planmäßig."

Finanzierung über Hoteltaxen

Choose Chicago wird überwiegend durch bundesstaatliche und städtische Mittel finanziert, vor allem über eine Hotelabgabe. Ein Teil davon stammt aus sogenannten "Tourism Improvement Districts", die von den Hotels selbst verwaltet werden. Reynolds betont, dass diese Mittel zweckgebunden seien: "Sie dürfen ausschließlich für touristische Vermarktung verwendet werden und sind unabhängig von der allgemeinen Haushaltslage der Stadt."

Große Ereignisse als Wachstumstreiber

Chicago profitiert von einem vollen Veranstaltungskalender. Der Marathon im Oktober, Sportevents und Festivals sorgen für hohe Buchungszahlen. Reynolds verweist auf den bevorstehenden FIFA-WM-Sommer 2026, der trotz des Fehlens eigener Spiele internationale Besucher anziehen soll. "Wir rechnen mit Fans, die über Chicago anreisen oder hier übernachten", sagt sie.

Auch für den Fußball selbst sieht Reynolds Potenzial. Nach dem Erfolg eines Premier-League-Spiels in diesem Jahr sei die Begeisterung groß. Die Stadt plane zudem ein neues Stadion für den lokalen Club Chicago Fire. "Das zeigt, wie wichtig Sport für die touristische Entwicklung geworden ist."

Blick nach vorn

Chicago habe sich nach der Pandemie schneller erholt als viele andere US-Städte. Für Reynolds ist das ein Signal: "Wir sind zurück auf der Weltbühne." Die größte Herausforderung bleibe, das Image der Stadt zu modernisieren und das internationale Vertrauen in die USA als Reiseziel zu stärken.

"Es ist eine aufregende Zeit, Teil dieser Entwicklung zu sein", sagt sie. "Chicago hat das Potenzial, wieder eine der meistbesuchten Städte Nordamerikas zu werden – wenn wir weiter zeigen, wie viel mehr sie ist als Schlagzeilen und Klischees."

Christian Schmicke

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