DER Touristik will Studie zu NS-Zeit nicht veröffentlichen
Der Tourismuskonzern hat die Geschichte des Vorläufers Mitteleuropäisches Reisebüro in der NS-Zeit und dessen Rolle bei Deportationen von Juden untersuchen lassen. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse jedoch nicht, schreibt der "Spiegel", sie diene laut Unternehmen nur der "Selbstvergewisserung".
Der "Spiegel" berichtet in seiner neuen Ausgabe von einer engen Verstrickung des 1917 gegründeten und 1918 in Mitteleuropäisches Reisebüro (MER) umbenannten Unternehmens in die Verbrechen der Nazis. So habe das MER nach der Machtergreifung der Nazis bereits im September 1933 das Ausscheiden aller „nichtarischen Angestellten“ gemeldet und durfte auch "Kraft durch Freude"-Reisen für verdiente Volksgenossen organisieren. Das Unternehmen sei in der Folgezeit expandiert und habe Mitte der 30er Jahre mehr als 1.100 Verkaufsstellen im In- und Ausland gehabt.
MER profitierte von zahlreichen "unfreiwilligen" Transporten
Richtig gut ins Geschäft sei das MER dann dank der Eroberungspolitik der Nazis gekommen, berichtet der "Spiegel". Im Frühjahr 1939 sei es am Transport von 7.900 Zwangsarbeitern aus dem sogenannten Protektorat Böhmen und Mähren beteiligt gewesen, schreibt das Blatt unter Berufung auf den Historiker Sambale. 1940 habe das MER allein 645 Sonderzüge mit insgesamt 320.000 polnischen Landarbeitern abgewickelt, die zum Arbeitseinsatz ins Deutsche Reich verfrachtet worden seien.
Aus Sicht der NS-Regierung habe sich das Unternehmen damit "genug Expertise angeeignet, um es auch an der Deportation europäischer Juden in die Konzentrationslager zu beteiligen", heißt es weiter. Der Hamburger Autor Peter Wuttke habe 2013 ein Faksimile eines Telegramms auf der Wikipedia-Seite über das DER veröffentlicht, mit dem die Berliner Reisebahnzentrale 1942 alle Reichsbahndirektionen angewiesen habe, die "Abfertigung" der "Juden-Sonderzüge" grundsätzlich dem MER zu überlassen.
In der öffentlichen Darstellung klafft eine Lücke
Auf der aktuellen Website von DER Touristik fehlt die Nazizeit indes komplett. Auf die Einträge "1926 Gründung der ersten Tochtergesellschaft in New York" und "1929 Gründung der ADAC-Reise GmbH als ADAC-Reise- und Wirtschaftsdienste GmbH, München" folgt als nächster Eintrag: "1945 Umbenennung des MER in Deutsches Reisebüro".
Warum DER Touristik die Studie über die NS-Vergangenheit des Unternehmens unter Verschluss hält, erschließt sich dem Autor der "Spiegel"-Recherche nicht. Denn schließlich hätten "Manager, die offen mit den Sünden der Vergangenheit umgehen, heute sogar mit einem gewissen Reputationsgewinn zu rechnen". Bald 75 Jahre nach Kriegsende trage schließlich niemand mehr eine persönliche Verantwortung für das, was geschehen sei. Eine Anfrage von Reise vor9 für ein Statement blieb bislang unbeantwortet.