Großer Nachholbedarf bei "Reisen für alle"
Lediglich 2.798 von geschätzt insgesamt 65.000 touristischen Betrieben in Deutschland sind mit dem Label "Reisen für alle" zertifiziert. Der Tourismusausschuss im Bundestag diskutierte nun darüber, wie sich das ändern lässt.
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Das freiwillige Zertifizierungssystem "Reisen für alle", das 2011 lanciert wurde, soll Menschen mit Behinderungen Informationen über touristische Angebote bereitstellen. Acht gemeinschaftlich vom Tourismusausschuss geladene Sachverständige waren sich einig, dass das Zertifizierungssystem ein guter Anfang sei, zu mehr Barrierefreiheit im deutschen Tourismus zu gelangen. Es benötige aber weitere Unterstützung und in eine bessere Verbreitung in der Fläche.
Wie es gelingen könnte, das Siegel "Reisen für alle" in der Fläche bekannter zu machen, skizzierte Rolf Schrader, Vorstand und Geschäftsführer des Deutschen Seminars für Tourismus Berlin. "Es braucht viel mehr sogenannte Kümmerer auf der kommunalen Ebene, die die Partner vor Ort ansprechen, aufklären und bei der Zertifizierung begleiten", erklärte er. Bislang sei das Engagement in Sachen barrierefreies Reisen durch unterschiedliche Voraussetzungen in den Ländern ungleich verteilt. Dass eine Gewinnung von Partnern, die sich als barrierefreie Destinationen zertifizieren lassen wollen, überhaupt nur über die "Kümmerer" funktioniere, glaubt auch Tino Richter, Geschäftsführer des Tourismusverbands Sächsische Schweiz: "Wir würden in dieser Hinsicht gerne noch mehr tun", so der Tourismuswerber.
Jeder Zehnte braucht barrierefreie Angebote
In Bezug darauf forderte Norbert Kunz aus der Geschäftsführung des Deutschen Tourismusverbands eine "Finanzierungsstruktur von Bund und Ländern, die dauerhaft ist und sicher". Der Anspruch eines bundesweiten Labels sei genau richtig, doch dessen Funktionieren dürfe man nicht dem freien Markt überlassen. Wenn man sich rund 3.000 bisher zertifizierten Betriebe anschaue, werde deutlich, dass man es bislang versäumt habe, öffentliche touristische Betriebe zu erreichen. "Jeder Zehnte ist auf barrierefreie Tourismusangebote und verlässliche Informationen angewiesen", sagte Kunz. Um das Informations- und Kennzeichnungssystem Reisen für alle für die Zukunft zu sichern, bedürfe es einer stärkeren finanziellen Unterstützung auch des Bundes. Es müsse "in unserem gemeinsamen Interesse sein, dass der gerade in Angriff genommene Neustart des Siegels gelingt".
Eine Koordinierungsstelle des Bundes, die alle Verbände auf kommunaler Ebene zusammenbringt, wünscht sich Peggy Fauß von der Thüringer Tourismus GmbH. Es habe bereits Initiativen des Deutschen Seminars für Touristik gegeben, beispielsweise was Hosting und Datenbanken angehe. Dennoch gebe es bei der Koordinierung noch Bedarf, so Fauß.
Anreise birgt oft Hindernisse
Menschen mit Behinderung, die einmal positive Buchungserfahrungen durch das System "Reisen für alle" gemacht hätten, würden auch immer wieder darauf zurückgreifen, berichtete Jonas Fischer, Referent für Barrierefreiheit beim Sozialverband VdK Deutschland. Ein Problem sei allerdings weiterhin, dass zwar Destinationen umfassend zertifiziert seien, aber der Weg dorthin oft weiterhin nicht barrierefrei sei, beispielsweise bei Reisen mit der Bahn. Diesen Punkt sprach auch André Nowak, Sprecher der AG Tourismus des Deutschen Behindertenrates, an. "Die gesamte Reise muss barrierefrei sein", so Nowak. Und das beginne eben schon damit, dass man gezielt herausfinden können müsse, welche Verbindungen vom Abfahrtsort bis zur Zieldestination komplett barrierefrei erreichbar seien. "Es braucht dafür alle Informationen an einem Ort", erklärte der Sachverständige. Dies sei aber nicht gegeben.
Markus Luthe, Hauptgeschäftsführer des Hotelverbands Deutschland, kritisierte, dass die Online-Buchungsplattformen die Information über barrierefreie Unterkünfte nicht weitergäben. "Die Plattformen müssen eingebunden werden, damit die Nachfrage bei den Hoteliers, die sich zertifizieren lassen, auch ankommt. Sonst wird das Siegel für sie uninteressant", forderte Luthe in der Anhörung. Imke Wemken, Geschäftsführerin der Ostfriesland Tourismus GmbH, konnte immerhin berichten, dass sich Engagement vor Ort auszahle. Es sei jedoch wichtig, dass die ganze Kette der Reiseplanung für Menschen mit Behinderung funktioniere: "Es gibt keine zweite Chance, wenn der Gast angereist ist und dann etwas vor Ort nicht funktioniert. Alles muss stimmig sein", sagte Wemken.
DTV schreibt an das Bundeswirtschaftsministerium
Der Deutsche Tourismusverband und seine 16 Landestourismusorganisationen haben am Mittwoch mit einem gemeinsamen Brief an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, an den Tourismuskoordinator der Bundesregierung, Dieter Janecek, und die Mitglieder des Tourismusausschusses appelliert, "Reisen für alle" noch stärker zu unterstützen. Bis Ende 2023 ist das Deutsche Seminar für Tourismus Berlin als Projektträger für "Reisen für alle" verantwortlich. Danach scheidet der Betreiber aus. Ein neuer wird gerade gesucht. Das Bundeswirtschaftsministerium hat bisher ausgeschlossen, den Betrieb des Siegels "Reisen für alle" dauerhaft zu finanzieren. "Wir fürchten, dass unter diesem Vorzeichen der notwendige Neustart gefährdet ist", sagt DTV-Chef Kunz. "Wir werden uns als Verband gemeinsam mit unseren Mitgliedern auch weiterhin mit aller Kraft für die Sicherung und Weiterentwicklung des Systems stark machen."
Christian Schmicke